Psychopathia Sexualis Revisited

 

"Die wenigsten Menschen werden sich vollkommen des gewaltigen Einflusses bewusst, welchen im individuellen und im gesellschaftlichen Dasein das Sexualleben auf Fühlen, Denken und Handeln gewinnt."

(Richard von Krafft-Ebing im Vorwort der Psychoathia Sexualis)

 

Die Psychopathia Sexualis ist die umfangreichste Sammlung von Perversionen, Paraphilien oder abwecheindem Sexualverhalten im 19. Jahrhundert. Ab 1886 herausgegeben von Richard von Krafft-Ebing, überlebte sie diesen um einige Jahre und erreichte erst 1924 ihre letzte und 17.  Auflage. 

 

 

Die Psychopathia Sexualis ist ein unterschätztes Buch. Es ist richtig, dass sie wenig zu bieten hat für die moderne Sexualwissenschaft. Auch hat sie keinen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel verursacht oder soziale Revolutionen angestoßen. Der theoretische Gehalt ist fragwürdig (Sexismus, Biologismus, Moralisierend, Degenerationstheorie rauf und runter, etc.) oder nicht besonders interessant. So überrascht es kaum, dass das Buch weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Wissenschaftliche Ausgaben sucht man vergebens, die existierende Forschungsliteratur ist übersichtlich.

 

Doch besitzt diese Sammlung eine besonderen Reiz; bis heute bereitet das Lesen darin Freude. Krafft-Ebing hat einen eigentümlichen Stil, so dass seine Beobachtungen und Erläuterungen eine ganz eigene literarische Qualität besitzen, irgendwo zwischen Panoptikum und Märchenonkel. Es sind wundervolle Figuren, die einem dort begegnen. Berühmtheiten wie Sergeant Bertrand, bezaubernde Damen wie Frl. X. 21, wie der Nasenfetischist, die Dame mit den vielen Perrücken, und so viele andere. Krafft-Ebing hat eine ganz eigene Welt entstehen lassen, in der sich bis heute viel Schönes entdecken lässt.


Die Psychopathia Sexualis bewegt sich zwischen Literatur und Wissenschaft, ihr ist am besten mit ästhetischen Mitteln beizukommen. Es geht darum, zu Schauen, mit was sie sich kombinieren lässt, was entsteht, wenn sie auf etwas anderes trifft und neue Verbindungen eingeht. Ein Experiment, welches sich noch immer ganz gut mit der alten Heiner Müller, Beuys und Coyote Nummer beschreiben ließe, wäre das nicht schon so oft gesagt worden.

 

Außerdem - Oh my god! It's so fucking interesting!